Historie

Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, könnte der ambitionierte Leser auf einem bequemen Lederstuhl in einem aufgeheizten Fernsehstudio sitzen und bei folgender unbequemen Millionenfrage ins Schwitzen kommen: Wie lautet der Teamname der sympathischen Mannschaft des VCJ 08 vor seiner offiziellen Vereinsgründung im Jahr 2008? (Diese Frage könnte genauso gut bei Quizduell über Sieg und Niederlage entscheiden.)
Die möglicherweise nicht nur Erkenntnis bringende Antwort auf diese Frage lautet: SC Muggefuck. Klingt komisch, ist aber so.

Die Zeit vor der Vereinsgründung des VC Jena 08. Oder: Vom Team zur Mannschaft

Eines schönen Tages im Jahre 2005 kommen junge Menschen in einem Volleyballhochschulsportkurs zusammen und stellen gegenseitig ihren Spaß am gemeinsamen Ballsport fest und erproben sich und ihren sportlichen Ehrgeiz spielerisch. Es ist fast ein allgemeines Sozialgesetz für Erstsemester einer jeden Hochschule, dass Volleyballkurse bestens geeignet sind, um nette Menschen zu treffen, gemeinsam zu spielen und im Anschluss gemeinsame Freizeit- und Sportaktivitäten zu planen. Man stellt schnellt fest, dass die Zunft der Volleyballer zu den vielfältigsten und liberalsten zählt. Denn mitspielen darf eigentlich jeder: Jungs und Mädchen, Frauen und Männer1, kleine und große, dicke und dünne, sportliche und unsportliche, clevere und naive, ehrliche und unehrliche, Philosophen und Ingenieure usw. Bei dieser kunterbunten Mischung aus gefährlichen Sportskanonen und harmlosen Granaten pendelt sich allerdings schnell ein durchschnittliches Spielniveau ein. Im Allgemeinen ist dies prima, aber im Besonderen war uns dies nicht genug.
Es entstand der zunehmende Wille nach echten Herausforderungen und nach der Möglichkeit sportlich voranzukommen. Da dieser sportliche Ehrgeiz sich bei vielen unserer zusammengewürfelten Gruppe aus größtenteils Nichtvolleyballern Bahn brach, aber wir auch eher probeweise unsere spielerischen Grenzen suchen wollten, kam ein bestehender Volleyballverein für uns nicht in Frage. Somit nahmen wir eine andere, für unsere Ambitionen angemessenere Gelegenheit wahr und meldeten für die Saison 2006/07 ein Team in der Stadtliga Jena der Männer an. Aus unserer Sportgruppe kristallisierte sich also ein motiviertes Team heraus. Jedes Team kennzeichnet sich und seine Einträchtigkeit durch einen ausgesuchten Namen. Wir nannten uns – warum auch immer – SC Muggefuck.
Da unser Volleyballteam aus einem Hochschulkurs – wo sowohl Jungs und Mädchen teilnahmen – entstanden ist, hatten wir in unserem Team ab und an auch weibliche Unterstützung. Leider wurde dieser exklusive Joker für die Teams der Männer-Stadtliga in der folgenden Saison verboten – was auch daran gelegen haben könnte, dass unsere Joker stachen. Aber aus diesem Grund bestand von da an unser Team nur noch aus echten Kerlen und erhob sich zur Mannschaft – nach dem Motto: Mannschaft ist, wenn der Mann, und nur der Mann, schafft. Zur Erinnerung an diesen historischen Wandel und als Nachweis dieser Behauptung zelebrieren wir (ungefähr) seitdem an jedem 1. Juli den Oberlippenbarttag, auf den sich manche dreitägig und andere vierwöchig vorbereiten. Aber auch unsere weiblichen Vereinsmitglieder haben die Möglichkeit in kürzester Vorbereitungszeit, mit einem selbstbewusst und bierernst angeklebten Heiner-Brand-Gedächtnis-Bart, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Aber dazu später mehr, wenn weitere Details unseres Traditionen implementierenden Vereinslebens verraten werden.

Spielerische Weiterentwicklung

Ohne zu sehr auf die strategischen und taktischen Geheimnisse des Volleyballsports einzugehen, soll hier auf unseren sportlichen und systemorientierten Entwicklungsprozess eingegangen werden. Da noch kein Meister vom Himmel gefallen ist und bekanntlich Übung den Meister macht, kann man an unserem Beispiel hervorragend nachvollziehen, dass Sport eben kein Mord ist, sondern spielerische Leibesertüchtigung mit Köpfchen. Bevor ich mein ganzes Taschengeld dem Phrasenschwein einverleiben muss, höre ich mit der Phrasendrescherei auf und berichte kurz, wie sich aus ein paar orientierungslosen Fragezeichen, die sich in einer Art Ball über die Schnur versuchen, volleyballsystemgeleitete Ausrufezeichen entwickeln, welche Feinheiten einüben, die man ansonsten fast nur im Sportfernsehen bestaunen kann.

Der Aufstand der Autodidakten (2006 – 2009)

Anfangs hat sich unser Team nach der Größe der Spieler von allein aufgestellt. Die großen waren die Angreifer, die kleinen die Steller. Ja genau. Bereits damals sind wir über die Phase: Jeder stellt und sechs vorn! hinaus gewesen. Unsere sechs sportlichen Himmelsstürme der Startformation waren zwei Stellern, die jeweils über die Position drei präzise und punktgenau stellten, während die anderen jeweils über außen (Position zwei und vier) martialisch und gnadenlos angriffen. Wer hoch fliegt, fällt tief. Die erspielten Resultate der ersten Stadtligasaison zeigten uns, dass wir oft genug – so selbstkritisch sind wir – auch Himmelsstürzer waren. Denn Platz zwölf von 14 Mannschaften ist vielleicht nicht die ganz große Erfüllung unseres erfolgsorientierten Ehrgeizes gewesen. Wenn es körperlich nicht reicht, dann hilft meistens der Geist. Mit dieser mythologischen Weisheiten eines körperlich benachteiligten Davids, der den an Kraft und Größe deutlich überlegenen Goliath bezwingen konnte, haben wir einen Plan gefasst. Wenn Ihr nun im Hintergrund Melodien hört, welche auch die aktionistischen Umsetzungen von Plänen beim A-Team, bei MacGyver oder Rocky begleiten, dann sind diese Atmo-Töne nur allzu passend. Ähnlich wie Rocky, der in Philadelphia die 72 Stufen zum Museum of Art hochrennt, sind wir noch früher aufgestanden – genau: denn der frühe Vogel fängt den Wurm – und haben noch härter trainiert – denn von nichts, kommt nichts.

Zusätzlich muss erwähnt werden, dass unsere damaligen Trainings- und Spielzeiten wirklich nur von Sportverrückten nachvollzogen werden können. Denn unsere Hallenzeit beschränkte sich auf die ungenutzte Polizeisporthalle am Dienstag nach drei vorherigen Hochschulkursen, an denen die meisten von uns bereits eifrig teilnahmen. D.h. also erstens, dass einige Akteure bereits am frühen Abend sämtliche Einheiten absolvierten und zweitens, dass unsere Heimspiele erst ab 22 Uhr beginnen konnten. Mit anderen Worten schrieben wir uns vierteljährig für einen vollgepackten Volleyballintensivkurs ein, der uns jeden Dienstag beim konzentrierten Training und ausdauernden Trainingsspielen in der Turnhalle vereinte – geteiltes Leid ist halbes Leid. Nach dem nimmersatten Versprechen: „all you can play“ gingen die letzten manchmal erst gegen zwei Uhr nachts nach Hause.

Ihr meint, dass reicht nun aber an gesundem sportlichem Ehrgeiz? Nö. Da uns dies ebenfalls noch nicht genug war, trafen wir uns zusätzlich in Freitagskursen, um erstens das am Dienstag gelernte drei Tage später zu festigen und zweitens unser erarbeitetes Fitnesslevel zu halten. Ihr meint, dass zwei ausgedehnte Trainingssessions eine semi-professionelle Einstellung bestätigen und uns dieses Pensum gereicht haben müsste? Nö. Denn die Muggefuckspieler haben sich mittwochs noch eine Hallenzeit in Lobeda-West organisiert und dort im überschaubaren Kreis Feinheiten trainiert. Diese Kosten haben wir privat getragen. Um dies zukünftig zu vermeiden, ist uns ein weiterer Grund dafür auf die Füße gefallen, einen eigenen Verein zu gründen. Aber unterm Strich wurden damit nicht nur unser Spielhunger gestillt, sondern spielerisch unsere Fähigkeiten verbessert.

Unsere gesteigerten Fitnesswerte und verfeinerten Spieltechniken mit Ball im unteren Amateurniveau haben wir gepaart mit einem neuen Spielsystem: dem Läufersystem. Mit den uns verfügbaren Mitteln haben wir also versucht ein System einzuüben, mit dem wir gegenüber den anderen Stadtligamannschaften einen taktischen Vorteil herausarbeiten konnten. MacGyver hätte es nicht besser machen können. Nach dem Studium von volleyballspezifischem Informationsmaterial und unzähligen Übungseinheiten ist aus einem wild umherlaufenden Haufen eine gut strukturierte Aufstellung entstanden – denn steter Tropfen höhlt den Stein. Unbeirrt haben wir das Läufersystem umgesetzt und unsere Spieler zu positionstreuen Fachidioten ausgebildet. Somit spielen wir seither mit einem Steller, einem Diagonalangreifer, zwei Mittelblockern und zwei Außenangreifern. Diese sportliche Entwicklung wirkte sich rasant und frappierend auf unsere Spielergebnisse aus. In der zweiten Spielzeit kletterten wir bereits auf den neunten Tabellenplatz und mauserten uns zu einer Mannschaft mit Potenzial, welches auch in der dritten Saison weiter ausgeschöpft werden sollte. Die Niederlagen verringerten sich über drei Spielzeiten hinweg von zehn auf acht und dann auf nur noch vier verlorene Spiele, während wir jede Saison mehr Spiele für uns entscheiden konnten – zuerst drei, dann fünf und dann acht Siege. Somit beendeten wir die dritte und damit auch letzte Saison unter dem Namen „SC Muggefuck“ als Vizestadtmeister. Insofern haben sich unsere Anstrengungen bereits ausgezahlt und unser Ehrgeiz wurde letztlich belohnt – denn am Ende kackt die Ente. Oder wie Hannibal Smith sagen würde: Wir lieben es, wenn ein Plan funktioniert.

Unser Spielrekord als SC Muggefuck in anschaulicher Zusammenfassung:

Saison Platz Siege Niederl. Sätze Punkte Teams
2006/07 12 3 10 15:35 979:1175 14
2007/08 9 5 8 24:25 1076:1060 14
2008/09 2 8 4 29:18 1053:954 13

Konzept und Architektur einer Mannschaft (2009 – 2014)

Die namentliche Verwandlung von SC Muggefuck in VC Jena 08 war nicht nur ein sportlicher Emanzipationsprozess, sondern implementierte auch ein neues (Selbst-)Bewusstsein. Das Training war nicht mehr in Hochschulkurse eingegliedert – obwohl einige fakultativ diese spielorientierten Gelegenheiten wahrnahmen –, sondern in eigenen Trainingszeiten UNSERES Vereins. Man waren wir stolz. Somit trainierten wir nicht mehr in der Polizeisporthalle und spielten im Anschluss um 22 Uhr, sondern, über die Jahre betrachtet, in verschiedenen Schulhallen (Ostschule, Nordschule, Heineschule, Montessorischule) zur Primetime.

Allerdings war schon damals der enge Bezug zu Volleyballhochschulkursen und vor allem zu deren Perspektivspielern von großer Bedeutung, wenn man eine clevere Spielereingliederungspolitik verfolgt. Nicht nur manche Vereinigungen von Versicherungsvertretern machen es sich zu Nutze, dass es in Jena dank der Hochschulen eine aderlassende Fluktuation an Studenten gibt. So findet man in den Hochschulkursen immer wieder ambitionierte Spieler, die gerne auch eine weitere Trainingszeit mit ansprechendem Spielniveau besuchen würden, ohne gleich auf’s Ganze zu gehen. Denn nicht jeder Student fern der Heimat möchte sich sofort mit Vereinsmodalitäten auseinandersetzen und für einen größeren Zeitraum festlegen. Aber auch ohne unseres exzellent ausgeklügelten Scoutingsystems hatten wir gelegentlich Anfragen von Volleyballern, die bei einigen Probetrainings ihre sportliche und charakterliche Tauglichkeit nachwiesen. Mit diesem weitsichtigen Personalmanagement begegneten wir dem Problem abnehmender, arbeitsbedingter Trainingsbeteiligungen. Denn mittlerweile wurde aus manchem vielbeschäftigten Studenten ein vielbeschäftigter Arbeitnehmer. Somit schöpften wir unsere jeweilige Startaufstellung aus einem Pool aus unaufgeregten Routiniers, eifrigen Vereinsneulingen und verschiedenste Gelegenheitsaushilfen.

Damals drückte unsere Mannschaft erstmals auch optisch-modisch einen gestiegenen sportlichen Anspruch aus. Mit einheitlichen Trikots – lila für Heim- und grün für Auswärtsspiele – präsentierten wir uns in den unterschiedlichen Jenaer Hallen und gegenüber oftmals kunterbunt gekleideten Gegnern. Da bei uns nahezu alles selbstgemacht ist, lobten wir kurzer Hand einen vereinsinternen kreativen Logoentwurfswettbewerb aus, bei dem alle Spieler selbst kreierte Vorschläge einreichen durften und der basisdemokratisch ermittelte Gewinner mit einem hochdotierten Büchergutschein entlohnt wurde. Wie auch die Idee einen Volleyballverein zu gründen von uns in die Tat umgesetzt wurde, so verwirklichten wir auch sämtliche obligatorische und fakultative Formalia selbstständig, weswegen seither unser eigenes Emblem alle repräsentativen Utensilien.

Aber auch unser Spielsystem bekam einen weiteren Feinschliff. Es wurde nicht nur die Position des Liberos implementiert, sondern auch positionsspezifischer trainiert. Von der Annahme, über Zuspiel und Angriff bekamen unsere Aktionen ein klareres Grundgerüst für ein geradlinigeres Aufbauspiel und variablere Angriffsoptionen. Somit wuchs auch der Ehrgeiz eintrainierte Spielsituationen in den entscheidenden Momenten während der Punktspiele umzusetzen. Somit waren wir zwar einerseits zufrieden, wenn wir Punkte, Sätze und Spiele gewannen, aber andererseits wollten wir all das auch unserem spielerischen Anspruch angemessen erreichen. Ein Blick auf unsere Statistik dieser Stadtligaperiode verrät eine latent perfektionistische Haltung:

Saison Platz Siege Niederl. Sätze Punkte Teams
2009/10 2 12 1 36:9 1098:852 14
2010/11 1 11 0 33:7 957:742 12
2011/12 1 9 0 27:7 791:638 10
2012/13 1 11 0 33:1 852:596 12
2013/14 1 9 0 27:2 730:519 10

In der ersten Saison als VC Jena 08 haben wir am 25. November 2009 unser einziges und seitdem letztes Spiel verloren. Den daraus resultierenden zweiten Platz nahmen wir als Herausforderung an, um uns in der darauffolgenden Spielzeit weiter zu verbessern. Das Ergebnis deutete ich bereits an. Seither sind wir in vier aufeinanderfolgenden Saisons ungeschlagener Abo-Stadtligameister. Während wir als SC Muggefuck als unerfahrene Volleyballneulinge einiges an Lehrgeld an die teilweise übermächtigen und erfahrenen Gegner bezahlt hatten, war uns diese extrinsisch und intrinsisch motivierte Ausbildung am Ende hilfreich, um nach ein paar Jahren nachgesagt zu bekommen, dass wir es nun sind, an denen sich die anderen Mannschaften in unserer Liga messen lassen wollen. Allerdings kann man in der Stadtliga weder ab- noch aufsteigen. Somit könnte man meinen, dass eine Langeweile der Dominanz die Liga uninteressant und eindimensional werden lässt. Haben wir alles erreicht, wofür es sich im Stadtligabereich morgens lohnt aufzustehen? Ohne überheblich zu antworten: Jupp. Ist unser Projekt somit an ein erfolgreiches Ende gelangt? Ohne Wehmut in der Stimme: Nein.

Diese Mannschaft ist spielerisch noch nicht satt und sucht nun neue spannende Herausforderungen. Während also in der Stadtliga das Spielniveau zwar ansprechend ist, aber die einzelnen Mannschaften vor allen Dingen aus ehemals aktiven Volleyballern und Hobbyspielern bestehen, geht die Reise nun über die Stadtgrenzen hinaus in die ostthüringische Region. Im Volleyballverband organisiert, warten dort aktive Volleyballmannschaften, gegen die man an Samstagen in mehrere Spielen nacheinander antritt und uns höchstwahrscheinlich irgendwann die zweite Niederlage erleiden, welche dem VC Jena nur noch mehr Wasser auf die Mühlen der unverzagten Weiterentwicklung gießt.